Jüdischer Friedhof Vishki vom 22.06. bis 01.07.2008
22.6.
Anreisetag: der Bürgermeister und der Schuldirektor sind zum Empfang da, zwei ehemalige Schülerinnen übersetzen, erste Lagebesprechung auf dem Friedhof.
23.6.
Der Transfer zum Friedhof klappt. Wir beginnen im hinteren Teil mit dem hohen Baumbestand mit der Entfernung von Büschen und Sträuchern. Einige Steine werden von Moos befreit. Die Inschriften sind deutlich schlechter als auf den bisherigen Friedhöfen. Es sieht so aus, als ob im hintersten Teil überwiegend Frauen beerdigt sind (und auch deutlich mehr Grabsteine für Frauen vorhanden sind). Das könnte daher rühren, dass die Steine der Männer aus dem vorderen Teil geklaut wurden. Dafür spricht auch, dass bei erster schneller Durchsicht mindestens zwei Steine an der Mauer, Steine für Männer sind.
Wir finden einen Oberschenkel, aber dabei handelt es sich sicher um einen Tierknochen.
Einige Bäume werden zum Fällen markiert und damit wird auch begonnen (kranke und kleine Bäume, und ein paar, um die nötige Menge an Hebeln für das Aufrichten der Grabsteine zu bekommen). Mit einer Motorsense beginnen wir den Grasteil aufzubereiten.
Ein Team beginnt mit der Vermessung des Friedhofs. Aufgrund dieser Arbeiten schlägt der Bürgermeister vor, nach einem Plan im Rathaus zu suchen (und er kann ihn tatsächlich am Ende des Tages präsentieren – allerdings scheint die Lage der Gräber mehr Fantasie als Wirklichkeit zu sein).
Mit Gita Umanowska wird vereinbart, für den Abschluss am 30.06. die jüdische Gemeinde in Daugapils einzuladen.
Ausserdem wird ein Platz für die Zelte gesucht und mit dem Aufbau begonnen.
24.6.
Drei Letten aus Plavinas (Lasma und Liga) und Livani (Janis) nehmen an den Arbeiten teil. Das macht manche Absprachen mit dem Bürgermeister leichter. Schüler aus Vishki haben wir bisher nicht gesehen.
Das Mähen des Grases wird fortgesetzt. Leider versagt am Ende die Motorsense (Zündkerze nass?). Aber: etwa die Hälfte der Wiese ist inzwischen gemäht.
Im Bereich mit den Bäumen entschliessen wir uns jetzt doch, Wege anzulegen und den Boden komplett frei zu machen. Das Vorhandensein nur einer Schubkarre ist sehr hinderlich (sie muss rund um die Uhr im Einsatz sein).
Die Karte des Bürgermeisters entspricht leider nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Man hat einfach hochgerechnet, wieviel Steine in den Lücken gestanden haben könnten. Wir entschliessen uns, den Plan neu zu machen. Die Grabsteinen bekommen nur Nummern, da eindeutige Sektoren nicht ausgemacht werden können.
An sechs Steinen wird mit Rasierschaum gearbeitet. Die Lesbarkeit ist sehr gut. Der Schaum hält deutlich länger (deutlich über eine Stunde), als die Versuche hergaben. Es ist sinnvoll, nach dem „Rasieren“ eine halbe Stunde zu warten, weil dann der dünne weisse Film weg ist. Leider geht eine Dose für sechs Grabsteine drauf.
Es wird ein Stein mit guter Beschriftung im Bereich des Baumbestandes unter der Erde gefunden, zahlreiche Steine werden aufgerichtet. Im Rasenteil sind die Steine in der Regel nur gegen einen Hügel gelegt. Wir werden deshalb mit einem Grossteil der noch liegenden Steine ebenso verfahren. Möglicherweise ist damit auch die Existenz der „grossen Maulwurfshügel“ nahe dem Eingangsbereich geklärt: die Grabsteine wurden geklaut, die Hügel blieben.
Ein erster Eindruck ist, dass 1923 sehr viele Beerdigungen gewesen sind. Leider weiss niemand, ob da eine Seuche oder sonst etwas gewesen ist. Ein Stein ist von 1970 oder 1979 mit nur russischer Aufschrift. Der Stein steht in der falschen Richtung. Auf dem Grab steht eine Plastikblume älteren Datums. Auch darüber kann uns niemand Auskunft geben (vielleicht die Vertreter der jüdischen Gemeinde aus Daugapils?).
Interessant ist auf alle Fälle der Doppelstein (Nr.1). Unklar ist bei dem Fundament, warum der Stein umgefallen war.
Zahlreiche Steine zeigen einen fünfarmigen Leuchter.
Auf Befragen sagt der Bürgermeister, dass seiner Kenntnis nach die Juden aus Vishki in Daugapils umgebracht wurden. Allerdings weiss er, dass es während des Krieges eine Schiesserei in unmittelbarer Nähe von Vishki (von den Bergen südlich) gegeben haben soll. Später stellt sich heraus, dass die Schiesserei die Tötung von 80 Juden aus Dagda war.
25.6.
Die Arbeiten vom Vortag werden fortgesetzt (ausser Mäharbeiten – die Sense ist kaputt). Am späteren Vormittag macht uns der aufkommende heftige Wind wie gestern zu schaffen.
Ein grosses Gewicht liegt auf dem Aufrichten der Steine. Dabei wird ein polierter Stein aufgerichtet, der offensichtlich für einen bekannten Mann gesetzt wurde (langer Text). Die Steine sind insgesamt kleiner als in Gostini oder Plavinas, was das Arbeiten sehr erleichtert (oft reichen 2-3 Personen für das Aufrichten).
Was die Nummerierung der Steine angeht, fangen wir mit der obersten Reihe an, die bis zum Ende durchnummeriert wird. Dann kommen die Halbreihen darunter im Wiesenbereich und dann die Halbreihen im Baumbereich. Die Steine für den Abtransport werden Buchstaben bekommen.
Inzwischen ist klar, dass die Karte nur mögliche Gräber aufgrund der Abstände enthält. In der Wirklichkeit sind einige Gräber nicht vorhanden (und wahrscheinlich auch nicht vorhanden gewesen). Im Bereich der 20er Nummern finden wir allerdings noch zwei Steine, die ursprünglich nicht zu sehen waren. Der eine Grabstein gehört nicht wie vermutet zur nebenstehenden Grabumrandung, sondern ist eigenständig.
Wir fangen an die Steine entsprechend der Karte mit Nummern zu versehen und die entsprechenden Fotos zu machen. Die Nummern werden auf der Nordseite der Steine mit roter Farbe angebracht. Manchmal muss davon abgewichen werden, weil die Steine zu tief in der Erde liegen und zu erwarten ist, dass ein Aushub bald wieder zugeweht ist. Einige Steine lassen sich nur schwer so fotografieren, dass die Inschriften lesbar sind (das ist allerdings auch in natura schon sehr schwer). Wir schaffen die Foto-Dokumentation bis Stein 60. Von den drei ausprobierten Rasierschäumen ist die Sorte „Palmolive Sensitive“ die geeignetste (die anderen sind zu zäh und zu langlebig). Inzwischen reicht eine Dose für 10 Steine. Wir sollten ausprobieren, ob wir die Steine mit hervorstehenden Buchstaben durch Kreide sichtbarer machen.
Im Gebüsch auf der Wiesenseite werden drei gestern entdeckte Steine freigelegt. Dabei kommt zutage, dass es auch dort – wie in der Nähe der zum Transport vorbereiteten Steine – eine Feuerstelle gegeben hat.
Wir überlegen, ob wir über dem Eingangstor einen Davidsstern aus Holz anbringen sollen.
26.6.
Eine neue Motorsense ist da und die Mäharbeiten gehen zügig weiter. Überall werden neue Grabsteine gefunden, sodass die Zählung etwas aus der Reihe gerät. Das ist nicht schlimm in den Bereichen, in denen die Steine noch nicht mit Farbe markiert sind. Als sinnvoll erweist sich eine provisorische Nummerierung mit Kreide (sie kann leichter geändert werden und die Farbmarkierung muss nicht ständig bei den Kartographen nachfragen).
Die meisten umgefallenen Steine werden aufgerichtet, bzw. gegen einen kleinen Hügel gelegt. Ein Stein im Baumbereich ist so von Wurzeln zugewachsen, dass die Bergung sehr schwierig wird. Wir gehen von über 300 noch vorhandenen Steinen aus.
Die fotographische Erfassung kommt bis Stein 115. Das Markieren der Buchstaben mit Kreide erweist sich nur in einigen Fällen als ergebnisträchtig. Oft sind die entsprechenden Steine zu sehr verwittert, als dass noch etwas getan werden könnte. Wenn die Steine nach dem Rasierschaum noch mit einer Gummiflitsche abgekratzt werden, ist das Ergebnis in der Regel noch eindrucksvoller.
Ausser den mit arabischen Jahreszahlen versehenen Steinen von 1923 und 1924 im Bereich des Baumbestandes, finden wir einen Stein von 1941 im Wiesenbereich. Im Baumbereich findet sich ein zweiter Doppelstein. Im Wiesenbereich findet sich ein Stein, auf dem nur noch zwei Löwen zu sehen sind.
Während der Arbeiten kommt eine grössere Abordnung der jüdischen Gemeinde Daugapils unter der Leitung von Josif Rochko, die viele Fotos von der Gruppe und den Arbeiten macht. Insbesondere die Übersetzung von Lasma ist eine grosse Hilfe. Wir sprechen eine ausdrückliche Einladung für die Abschlussfeier aus.
Die Gemeinde spricht sich dafür aus, dass wir die ungewöhnliche Bodenvertiefung an zwei Stellen durch eine Schnittgrabung (W-O und NO/SW) vorsichtig aufnehmen, um festzustellen, ob es sich dabei vielleicht doch um ein Massengrab handelt. Die beiden Stellen werden markiert und die Arbeiten angefangen. Bis zum Arbeitsende ergeben sich allerdings keine Hinweise auf die Nutzung der Bodenvertiefung.
Der Davidsstern für das Tor wird fertig und morgen montiert.
27.6.
Ein grosses Problem ist weiterhin die fehlende zweite Schubkarre. Die Steine, die zum Abtransport bereit gelegt wurden, werden freigelegt.
Es wird noch ein weiterer Stein im Wiesenfeld gefunden. Die Nummerierung ist fertig. Bei den Schichtgrabungen wird nichts gefunden.
Der Davidsstern über dem Tor hängt und auch der Wegweiser vorher.
Es wird nachmittags ausserhalb der Arbeitszeit je ein Team nach Gostini (Plavinas) und nach Plavinas geschickt.
In Gostini ergibt sich ein sehr gutes Bild. Der Friedhof ist in so tadelloser Ordnung, dass es fast den Eindruck macht, er würde gepflegt. Das Schild am Gedenkstein ist noch vorhanden. Die geklebten Steine haben gehalten (jetzt schon den zweiten Winter). Es ist kein Stein umgefallen. Lediglich ein paar Äste sind herabgefallen. Die aus Abraum aufgeschüttete Umrandung nimmt Form an. Vor zwei Gräbern finden sich Kerzen.
In Plavinas wird ausserdem mit der Kunstlehrerin über die Skizze zum Shoa-Denkmal verhandelt. Sie legt eine Skizze vor, die so umgesetzt werden kann. Sie verspricht, diese Skizze kurzfristig mit der Bürgermeisterin zu besprechen. Die Skizze wird in zehn Tagen Itzchak Belfer bekommen und mit ihm besprochen. Die erste Skizze wäre dann lettisch, die Skulptur israelisch, und die Ausführung deutsch.
In Livani ein erschreckendes Bild. Der hintere Zaun, der schon im November mit „demage“ beschmiert war, ist vollständig umgeworfen und zum grössten Teil zertrümmert. Zahllose Grabsteine (in allen Bereichen) sind umgeworfen und zum Teil zum einem grösseren Grillplatz zusammengestellt. Unmengen an Flaschen und anderem Müll finden sich im ganzen hinteren Teil des Friedhofes. Das Schild am Eingang ist noch immer kaputt, Teile der vorderen Mauer immer noch ungestrichen.
28.6.
Die Luft ist raus, wohl auch weil nur noch wenig zu tun ist. Die Arbeiten erfolgen heute nicht in der gewohnten Sorgfalt.
Die Schichtgrabung hätte noch tiefer sein müssen. Die Grabung ergibt aufgrund der Bodenbeschaffenheit, dass die Vertiefung keinen natürlichen Ursprung hat. Sie hat aber geschätzt nach der Dicke des Waldbodens darüber vermutlich deutlich eher stattgefunden. Wenn es ein Schützengraben war, vielleicht zur Zeit des ersten Weltkrieges. Es liegen aber keine Hinweise auf irgendeine Nutzung vor.
Heute ist „Rasierschaumtag“. Ein Grossteil der noch verbliebenen Steine wird so für die fotografische Erfassung vorbereitet. Die weiblichen Teilnehmer zeigen dabei deutlich bessere Fähigkeiten. Ein grosse Schwierigkeit ist, dass die „Einseifer“ keine Hebräisch-Kenntnisse haben und deshalb nicht sehen können, wo ein Stein aufhört, bzw. ob noch Buchstaben am Rand sind.
Hoffentlich sind alle Steine fotografiert worden. Es ging gestern etwas durcheinander, weil nicht genug Rasierschaum da war.
Als Kreide eignet sich eher die Kreide für Strassenmalerei als normale Schulkreide. Ein roher Feldstein im Wiesenbereich recht trägt wohl doch eine Aufschrift. Es ist aber leider kein Rasierschaum mehr da, um die Schrift sichtbar zu machen.
Eine Nummer ist offensichtlich doppelt vergeben worden (270). Der gesamte Friedhof wird aufgeräumt und von unseren Resten gesäubert.
Die Mäharbeiten kommen zum Ende. Es ist die Frage, wer diese Arbeiten künftig machen kann.
29.6.
Ruhetag
30.6.
Eine kleine Gruppe besucht den Bürgermeister in Livani, um ihn auf den Friedhof anzusprechen. Sie hätten die Zerstörungen auch schon bemerkt und die Polizei wäre eingeschaltet. Wir haben ihm unmissverständlich mitgeteilt, dass wir erwarten, dass die Stadt sich mehr des Friedhofs annimmt und das Geld, was im Budget vorgesehen ist, auch nutzt. Wir haben angekündigt, dass wir diesen Friedhof im Auge halten und nötigenfalls nächstes Jahr wieder kommen.
Der andere Teil der Gruppe besuchte die jüdische Gemeinde in Daugapils. Die Synagoge ist in einem Wohnhaus und bescheiden eingerichtet. Etwa 20-25 Männer kommen zum Gottesdienst.
Wir finden das Denkmal für die 80 Erschossenen aus Dagda (in Vishki nicht links in Richtung Aglona, sondern recht die Schotterpiste den Berg hochfahren. Das Denkmal liegt dann links). Unklar ist, warum die Toten dort nicht verscharrt bzw. wo sie beerdigt wurden.
Nachmittags ist die Einweihungsfeier in Vishki, an der leider niemand aus Daugapils teilnimmt. Die Nachrichten von Livani haben beim Bürgermeister in Vishki offensichtlich grossen Eindruck gemacht und er verspricht, dass auf diesem Friedhof nicht dass passieren wird, was in Livani passiert ist. Das Fernsehen aus Daugapils ist da und macht einen kurzen Dreh (auch deshalb ist schade, dass niemand aus Daugapils da war): www.drp.lv
1.7.
Abreisetag
Nach Abschluss der Arbeiten meldete sich eine Frau aus Frankreich, die im Mai auf dem Friedhof war: http://usdintriptorussia.blogspot.com
Die Anerkennung für unseren gemeinützigen Verein LOT (finanzielle Unterstützung der Camps) ist während des Camps gekommen und wir können Spendenquittungen ausstellen..
Teilnehmer:
Klaus-Peter Rex
Reda El Scherif
Wanda Sebastian
Katjana Leege
Jonas Urban
Oliver Jonen
Darius Dreyer
Gerrit Heinmüller
Nils Wessel
Julian Solimando
Hendrik Göttsche
Anika Göttsche
Jelena Okunneck
Sven Dylla
Marcel Tschampke
Patrick Wisker
Julia Ross
Hier geht es zu den Bildern der Grabsteine von Vishki